ISI: REDs - STOP! ZU VIELE ROTE AMPELN ÜBERFAHREN

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Geschrieben von Isi Weller

RED-S = „Energiedefizienssyndrom“

Zu viele rote Ampeln hatte ich überfahren, nun stand der Preis dafür schwarz auf weiß auf meinem Befundbericht des Belastungstests der Charitè.


Lange hatte ich mir eingeredet, RED-s, wie das Syndrom im Englischen genannt wird, wäre für mich auszuschließen. Dafür trainierte ich weder zu hart, noch zu häufig und außerdem ernährte ich mich auch angemessen! - Dachte ich. Das war die erste rote Ampel!

Die Wahrheit liegt im Begriff selbst: es heißt nämlich relatives und nicht absolutes Energiedefizit. Bedeutet, dass die Aufnahme an Energie in Relation zum Energieaufwand zu gering ist. In welcher Form man Energie (kcal) verbrennt, z.B durch Training, Pendeln mit dem Rad oder Treppensteigen, ist für die eigene Energiebilanz unerheblich. Nun führt ein kurzzeitiges Energiedefizit nicht sofort zu RED-s, sondern entsteht aus einer kontinuierlichen negative Energiebilanz, die - wie in meinem Fall- aufgrund falscher Verhaltensmuster zu lange unbemerkt blieb. Erst als die körperlichen Ressourcen aufgebraucht waren, stellen sich dann die ersten Symptome ein.

Liest man sich in die Materie RED-s ein, fällt eine häufige Korrelation zwischen RED-s und einem gestörten Essverhalten auf (das im Übrigen nicht weniger schädlich ist, nur weil es einem nicht bewusst ist).
Maskiert unter dem Vorwand des Gesellschaftstrends lernte ich erst viel zu spät, dass ich mit meinen Mitmenschen einige als gewöhnlich und gesund gesehene Ernährungsmuster teilte, die aber in Relation zu meinem Aktivitätslevel als ambitionierte Läuferin mit einem aktiven Arbeitsalltag absolut kontraproduktiv waren.

Ich verfolgte beispielsweise ein vegetarisches, relativ cleanes Ernährungskonzept, vermied damit Zucker sowie Fertigprodukte und ersetzte aus ökologischen Gründen gerne tierische Produkte mit pflanzlichen.

Wo ist das Problem? (Rote Ampel!!!)
Ich aß hauptsächlich Lebensmittel mit einer Energie- und Nährstoffdichte, die zu gering war, um meinen Energieaufwand zu kompensieren. Und das fiel nicht auf.
Wie auch bei einem Rennwagen, sind nicht nur Qualität und Quantität des Kraftstoffs ausschlaggebend, sondern auch der Zeitpunkt des Auftankens.

Ich gehörte zu den Läuferinnen, die nach dem Training erst sehr viel später hungrig wurden und aß eben dann, wenn mein Magen knurrte. Dass das Auffüllen der körperlichen Ressourcen direkt nach dem Training am effizientesten ist, wusste ich natürlich, aber nahm an, der Körper wüsste schon was er tut. Und das tat er auch, nur manchmal etwas zeitverzögert. Auch wenn ich meinen täglichen Kalorienbedarf erreichte, war die biologische Tankuhr jedoch bereits ausgeschöpft. Resultierend kamen extreme Heißhungerattacken, die ich am Anfang als das sah, was sie waren, nämlich der rückwirkende Versuch des Körpers Energie einzufordern. Eine rote Ampel am Horizont!!!

Mit zunehmender Trainingsintensität mehrten sich immer mehr unspezifische Symptome, die – wie ich jetzt weiß – alle auf ein hormonelles Chaos zurückzuführen waren; ein essenzieller Bestandteil der RED-s Symptomatik. Plötzlich durchlief ich Phasen extremer Insomnie, ich konnte weder einschlafen, noch durchschlafen. War es mir dann doch für 3-4 Stunden möglich, wachte ich frierend, aber in triefend nassgeschwitztem T-Shirt auf. Mein Ruhepuls ging in den Keller aber sprang bei geringster Belastung sofort auf ungewohnt hohe Werte. Dass die Symptome alle als RED-s zusammenschlossen und mit der Disbalance aus Laufen und Ernährung zusammenhingen, ahnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht.

Und dafür gab es einen Grund: ich nahm an, in einem chronischen Energiedefizit fühlte man sich erschöpft. Doch das Gegenteil war der Fall: ich war zu körperlichen Höchstleistungen imstande, obwohl mir eigentlich einfache Trainingseinheiten immer schwerer fielen. Trotz des Schlafmangels war ich auch tagsüber nie müde oder lethargisch, eher über stimuliert und cholerisch. Energiemangel? – Wie denn? Achtung: Rote Ampel!!!

Heute weiß ich: ein toxischer Cocktail aus Cortisol und Adrenalin kann Ermüdungserscheinungen lange unterdrücken. Bestzeiten resultierten aus dem Überlebensmodus, in dem Bewegungsenergie wichtiger erachtet wird, als andere Körperfunktionen (bspw. die Fortpflanzung). Der weibliche Körper hat in solchen Fällen einen entscheidenden Vorteil: er stellt durch den Menstruationszyklus eine Art sensibles Frühwarnsystem bereit. Verändert sich mit einer Trainings-/ Ernährungsumstellung auch der Zyklus oder bleibt vollständig aus, ist dies wahrscheinlich ein erster Indikator für eine unausgeglichene Energie und Stressbilanz.

Mittlerweile wird dem weiblichen Zyklus als Ressource und Einflussgröße in Breiten- sowie im Leistungssport immer mehr an Bedeutung geschenkt. Mein Zyklus hatte bereits ein Jahr vor der RED-s Diagnose ausgesetzt, doch die Ursachen und Folgen waren mir damals einfach nicht klar genug. Meine erste und verheerendste Rote Ampel. (!!!)

Meine Regeneration von RED-s durchlief auch nach Erkenntnis und Verhaltensänderung immer wieder Höhen und Tiefen, mir schien es als wäre der Körper regelrecht hypersensibel geworden. Zu abrupte Trainingsveränderungen werden sofort quittiert. Einige meiner Fehler und Annahmen auf dem Weg zu RED-s sind allerdings in der Läufer*innen-Community keine Seltenheit. Rückwirkend hätte sich das Bewusstmachen einiger dieser Punkte aber durchaus als präventiv ausgewirkt:


1. Früh handeln:

Um sich in ein chronisches Energiedefizit zu schießen, muss man weder aktiv im Leistungssport sein, noch einen bestimmten BMI erreichen. (Demnach könnten adipöse Menschen ja auch nicht verhungern)
Zudem schätzt man sich als Solo-Breitensportler*in oft nicht als „elitär“ genug für RED-s ein und wird damit zur Hochrisikogruppe. Oft ist auch kein*e Trainer*in mit involviert, der/die intervenieren könnte. Zusätzlich ist der Leidensdruck - nie groß genug – bis er es plötzlich da ist.


2. Überdenke die alten Sprüche:

“No pain – no gain”, “ Make every mile count” – Falsch!

Unser Problem ist nicht die Disziplin, es ist die Überdisziplin!
Es ist die Angst vor dem Auslassen einer Einheit. Pausetage werden als nichtig angesehen, die könnten sich ja negativ auswirken. Klar: Erfolg erfordert hartes Training und das kann weh tun. Als Läufer*in müssen wir lernen mit Schmerzen und Unwohlsein umzugehen und diese ausblenden können. Doch wo wird eine hohe Schmerztoleranz gefährlich? - Da wo der „Schweinehund“ aufhört und der Körper echte Signale gibt!

Um Signale richtig lesen zu können, half es mir eine individuelle Indikatoren-Liste erstellen, die alle verletzungsvorbeugende Maßnahme enthielt. Darunter waren Anzeichen, die ich früher im besten Falle „weggelaufen“ hätte, wie zum Beispiel schwere Beine, Tagesmüdigkeit oder wiederkehrende negative Gedanken vor oder während einer Einheit. Das reicht meinem Kopf mittlerweile aber zunehmend, als Grund auch mal auszusetzen. Getreu dem Motto: „Less is more“!


3. „Less is more“ - außer beim Essen!

Lieber mal zugreifen, als auslassen oder ersetzen. Schon mal was von „Overfueling“ gehört? Ich auch nicht… Es lohnt sich auch, die Lebensmittel auf die individuelle Verträglichkeit zu analysieren. Vegetarismus ist großartig - ich musste aber leider erkennen, dass ich tierisches Eiweiß viel besser verarbeiten kann als Phytoproteine.


4. Pre- und Post-Run Snacks sind unerlässlich, unabhängig des Hungers!

Dieser Punkt hat in der Umsetzung sehr lange gedauert. Warum? Weil es kein intuitiver, sondern eher ein taktischer Ansatz ist. Er stellte in meinem Fall aber langfristig die einfachste Maßnahme mit dem größten Erfolg dar.

Auch wenn ich das Laufen liebe, waren die härtesten Einheiten, die die ich gesundheitsbedingt ausfallen lassen musste. Langfristig ist das allerdings die nachhaltigere Entscheidung. Und noch wichtiger: der Körper dankt es einem. Auch, wenn es sich anfühlt, als würde mensch nur noch mit angezogener Handbremse vorwärtskommen. Besser als auf Kosten der eigenen Gesundheit mit brachialer Gewalt höchst ineffizient zu trainieren, wodurch man zwangsläufig gar nicht mehr vorankommt, sondern liegen bleibt, weil der Treibstoff aus ist. Ohne Benzin fährt auch der schnellste Rennwagen nicht als Erstes durchs Ziel.

 

Ganz wichtig: Das ist es einfach nicht wert!!!

Isi

Autorin

Steffi

Publisherin